Ausstellung zu Victor van der Reis im Mittelpunkt der Visite in Neuenhaus

Thomas Nerlinger, Albrecht Schill, Paul Mokry, Gerd Schippers-Ukena, Geert Vette, Christa Pfeifer, Günter Oldekamp, Dr. Arno Schumacher, PD Dr. Konrad Schoppmeyer, Rudolf Dübner (Foto: Franz Frieling, von links).

Rund 50 Mitglieder und Gäste folgten der Einladung der Gesundheitsregion EUREGIO zur Visite der Ausstellung „Victor van der Reis“ am 05.11.2019 ins Alte Rathaus nach Neuenhaus. Die Moderation der Visite übernahm Thomas Nerlinger, Geschäftsführer des Vereins.

Anlässlich des 650. Stadtjubiläums der Stadt Neuenhaus präsentierte der Förderverein Günter-Frank-Haus die Ausstellung zum Leben und Wirken von Prof. Dr. Victor van der Reis, dem als Arzt und Wissenschaftler eine eindrucksvolle Karriere gelang. Die Sparkassenstiftung, die Stadt Neuenhaus und die Emsländische Landschaft ermöglichten diese Ausstellung.

Zu Beginn der Visite begrüßte Christa Pfeifer, Vorsitzende des Fördervereins Günter-Frank-Haus e. V., die Gäste und stellte die Entstehungsgeschichte der Ausstellung vor, die – konzipiert anlässlich des 650. Jubiläums der Stadt Neuenhaus – den bedeutenden Mediziner in das Bewusstsein der Neuenhauser(zurück)holen wollte. Zugleich sollte auch an den 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen erinnert werden, wo Victor van der Reis Zeuge und Opfer der systematischen Verbrechen von Gestapo, SS, Wehrmacht und sog. „volksdeutschen Heimatschutz“ an der polnischen Bevölkerung wurde. Ihre Ausführungen zu den Lebensstationen des gebürtigen Neuenhausers führten schließlich in die Gegenwart eines sich unter Zuarbeit der AfD radikalisierenden Rechtsextremismus. „Mittlerweile – insbesondere nach den Thüringer Wahlen – hätten wir wohl auch die Verabschiedung des Grundgesetzes vor 70 Jahren als einen weiteren Anlass für diese Ausstellung gesehen. Wir müssen uns erinnern. Und wir müssen uns klar machen: Auch gegenwärtig geht es um einen politischen Klimawandel, brutale Einzeltaten verweisen auf existentielle Gefahren. Der Point of no return ist nicht bekannt, könnte aber schon sehr viel näher liegen, als viele meinen.“  

Dr. Arno Schumacher, Vorsitzender der Gesundheitsregion EUREGIO, blickte in seiner Begrüßung auf das Jahr 1889 – dem Geburtsjahr des Mediziners und Wissenschaftlers Victor van der Reis in Neuenhaus – und die besonderen Ereignisse zurück. So wurde z. B. anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Französischen Revolution der Eiffelturm rechtzeitig zur Weltausstellung fertig. „Beim Beschäftigen mit der Historie des Victor van der Reis habe ich im Hinblick drei Aspekte herausgenommen, auf die ich unseren/Ihren Blick lenken möchte:

  1. Der Zusammenhalt der Familie van der Reis ist eindrucksvoll. Der Vater führt in Neuenhaus einen Betrieb mit Geschwistern, ein richtiger Familienbetrieb. Sowohl Vater als auch seine Kinder suchen bei aller grausamer Zerrissenheit der Familie immer wieder nach dem Familienverbund, helfen sich in der Familie, wo es nur geht.
  2. Immer wieder zu spüren ist das Versuchen von Familienmitgliedern in die alte Heimat Neuenhaus zurückzukommen. Wären nicht die Widrigkeiten und Härten des Lebens gewesen, hätte vielleicht sogar Victor van der Reis seinen Lebensabend in der alten Heimat Neuenhaus verlebt. Heute ist bekannt, dass unsere jungen Menschen in einem hohen Prozentsatz gerne in ihrer Heimat sein möchten, wenn es dafür geeignete Rahmenbedingungen gibt.
  3. Als drittes und letztes ein Aspekt, den wir alle nicht verdrängen dürfen. Es geht uns gut, unsere Lebensumstände sind besser als die zu Zeiten des Victor van der Reis. Wir leben in Freiheit und ohne Krieg. Das soll so bleiben, daran müssen wir stetig arbeiten. Es muss uns zu denken geben, wenn sich politisch Extreme entwickeln, diese dürfen wir nicht missachten, sondern müssen sie beachten. Personen hinter den politisch extremen Richtungen müssen wir friedfertig einbinden und sie mitnehmen, nicht ausgrenzen. Wir müssen nach eigenen Fehlern suchen und nicht andere anprangern. Wir täten gut daran, gemeinsame Themen zu finden mit den politischen Randpersonen, auf diese mäßigend einwirken, damit das Extreme in den Hintergrund tritt.“

Günter Oldekamp, Bürgermeister Samtgemeinde Neuenhaus, sprach in seinem Grußwort im Namen von Samtgemeinde und Stadt Neuenhaus seinen Dank für die Organisation der Visite und der Ausstellung aus. Dabei nutzte er die Gelegenheit, die gute Zusammenarbeit mit der Gesundheitsregion EUREGIO – u. a. im Projekt Dorfgemeinschaft 2.0 – zu unterstreichen.

Im eindrucksvollen Vortrag „Victor van der Reis, Arzt und Forscher aus Neuenhaus“ stellte Priv. Doz. Dr. Konrad Schoppmeyer, Chefarzt Medizinische Klinik II, EUREGIO-KLINIK das medizinische Wirken vor. Seine Forschungsaktivitäten waren von großem Wissensdrang und hoher Integrität geprägt. Er erzielte bahnbrechende Ergebnisse in der Mikroökologie des Verdauungstrakts – ein früher Mikrobiomforscher. Seine ärztliche Tätigkeit nahm er 1919 zunächst in Greifswald auf. 1928 wurde van der Reis Direktor der Inneren Abteilung am städtischen Krankenhaus von Danzig, 1935 wurde er dort nach Recherchen des Fördervereins als jüdischer Mediziner von den Nationalsozialisten aus dem Amt getrieben. 1938 flüchtete er über die polnische Grenze. In den Wirren des deutschen Überfalls auf Polen wurde van der Reis von der Gestapo verhaftet und musste beim Aufbau des späteren Konzentrationslagers Stutthof helfen. Durch diplomatische Kontakte wurde er aus der Haft entlassen und ging nach Warschau. Von dort aus flüchtete er weiter nach Rom und reiste 1940 letztlich nach Sao Paolo, Brasilien, wo er bis zu seinem Tod als Arzt arbeitete.

Als besonderes Dankeschön überreichte Thomas Nerlinger das neue Buch des 81-jährigen ehemaligen Friseurmeisters aus Emlichheim, Rudolf Dübner, zu menschlichen Begegnungen. Das Buch umfasst fünf Kapitel. Im dritten Block „Begegnungen im Heiligen Land“ erzählt Dübner von Erlebnissen und Begebenheiten während seiner mehr als 20 Reisen nach Israel in den vergangenen fast 35 Jahren. 

Ein besonderer Höhepunkt der Visite war die musikalische Begleitung durch Albrecht Schill (Flügel) und Gerd Schippers-Ukena (Geige) durch Sonaten von Schubert.

Zum Abschluss lud Filialleiter Geert Vette von der Kreissparkasse Grafschaft Bentheim zum Imbiss und Austausch ein. Die Gäste nutzten zugleich die Gelegenheit zur Besichtigung der Ausstellung.

Fotos: Franz Frieling, Ehrenmitglied

Weitere Informationen:
Flyer zur Ausstellung
Journalseite von Norman Mummert in den Grafschafter Nachrichten am 02.11.2019
Artikel von Sebastian Hamel in den Grafschafter Nachrichten vom 08.11.2019