Entsprechend ihrem gesetzlichen Auftrag analysierten die sieben Professorinnen und Professoren, die dem Rat angehören, die Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen übergab es am 23.06.2014 an den Bundesminister für Gesundheit Hermann Gröhe.
„Wir begrüßen die konkreten Empfehlungen des Sachverständigenrates zur Stärkung der ländlichen Region ausdrücklich“, betont Thomas Nerlinger, Geschäftsführer der Gesundheitsregion EUREGIO und weist auf die aktuellen Aktivitäten des Gesundheitsvereins hin: „Die Ansätze des Sachverständigenrats haben wir mit unseren rund 90 Mitgliedern und Kooperationspartnern bereits Anfang des Jahres aufgegriffen und einen konkreten Projektvorschlag erarbeitet. Mit dem Konzept „Dorfgemeinschaft 2.0 – das Alter im ländlichen Raum hat Zukunft“ beteiligen wir uns mit nahezu 40 namhaften Projektpartnern an der Ausschreibung „Innovationen für Kommunen und Regionen im demografischen Wandel (InnovaKomm). Der Rat stellt in seinem Gutachten eine Finanzierung durch Krankenkassen in Aussicht. Dies wäre eine weitere Option zur Umsetzung unseres Projektes Dorfgemeinschaft 2.0 in der Grafschaft Bentheim.“
Die Etablierung und Erprobung solcher LGZ sollte bei der Vergabe der Mittel des geplanten Innovationsfonds nach Ansicht des Rates berücksichtigt werden. Mit dem § 63 Abs. 3c SGB V wurden darüber hinaus entsprechende gesetzliche Weichen gestellt, um auch in Deutschland zu einem Neuzuschnitt der Aufgaben und einem anderen Professionenmix zu gelangen. Hier ist es erforderlich, die bisherigen Regelungen zu vereinfachen, um auf diese Weise die Umsetzung zu erleichtern und innovative Lösungen für die besonderen Versorgungsprobleme in ländlichen Regionen zu erproben.
Im Zentrum des Gutachtens steht diesmal die Gewährleistung einer bedarfsgerechten Versorgung in ländlichen Regionen und in ausgewählten Leistungsbereichen. Der Vorsitzende des Rates, Prof. Ferdinand Gerlach, erklärt in der Pressemitteilung des Sachverständigenrates: „Unsere Analysen zeigen, dass die bisherigen Maßnahmen bei weitem nicht ausreichend sind, um einer sich abzeichnenden Unterversorgung in strukturschwachen, ländlichen Regionen entgegenzuwirken. In unserem Gutachten empfehlen wir einerseits, zukünftig deutlich stärkere Anreize für eine Tätigkeit in ländlichen Regionen zu setzen und andererseits entschlossene Maßnahmen zum Abbau von Überversorgung in Ballungsgebieten zu ergreifen.“
Um der absehbaren gesundheitlichen Unterversorgung in ländlichen Regionen entgegenzuwirken, empfiehlt der Rat ein Bündel weitreichender Maßnahmen, die von einem 50%igen Landarztzuschlag über den obligatorischen Aufkauf von Arztsitzen in überversorgten Ballungsräumen bis zu einem umfassenden Konzept regional vernetzter Versorgung mit lokalen Gesundheitszentren zur Primär- und pflegerischen Langzeitversorgung reichen. Eine neue Aufgabenteilung zwischen den Gesundheitsprofessionen und intensivierte Maßnahmen zur Überwindung des Fachkräftemangels insbesondere in der Pflege werden angesichts des demographischen Wandels als unverzichtbar angesehen. Zur Sicherstellung der Notfallversorgung wird eine stärkere Integration von Notaufnahmen der Krankenhäuser, vertragsärztlichem Bereitschaftsdienst und Rettungsdienst angeraten.
Nach Ansicht des Rates muss das zentrales Ziel eines patienten- bzw. nutzerorientierten Gesundheitssystems die Schaffung und Sicherstellung eines bedarfsgerechten Versorgungsangebots sein, das für alle Bürgerinnen und Bürger bestmöglich zugänglich und erreichbar ist.
Der Sachverständigenrat schlägt als konkreten Lösungsansatz „Lokale Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung (LGZ)“ vor, die im Rahmen eines umfassenden Konzepts zur regional vernetzten Versorgung in ländlichen Regionen einerseits auch zukünftig eine Versorgung auf qualitativ hohem Niveau ermöglichen und andererseits zugleich jungen Ärzten und Pflegekräften attraktive (Teilzeit-) Arbeitsplätze bieten können. LGZ halten spezielle Angebote für ältere und chronisch Kranke vor und gehen mit einer erhöhten Mobilität sowohl auf Seiten der Patienten (z.B. über Bürgerbusse, Hol- und Bringdienste) als auch bei den hier Beschäftigten (z.B. durch mobile Praxen für Ärzte und diverse Gesundheitsprofessionen) einher.
Nach Ansicht des Rates sind inzwischen nicht nur die Herausforderungen, die durch den demografischen Wandel, den technologischen Fortschritt und die Ausweitung der Angebotskapazitäten an die Finanzierung des Gesundheitssystems gestellt werden, stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt, sondern auch die teilweise gefährdete Versorgungssituation insbesondere in strukturschwachen, ländlichen Regionen. Gesamtgesellschaftliche Phänomene wie eine fortschreitende Urbanisierung mit Entleerung, Überalterung und infrastruktureller Schrumpfung von ländlichen Regionen betreffen auch die gesundheitliche Versorgung. Einem stark anwachsenden Anteil hoch betagter, mehrfach chronisch erkrankter Menschen steht ein schrumpfendes Arbeitspotenzial gegenüber, heißt es weiter im dem Gutachten.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert im Rahmen eines Demografiewettbewerbs der Bundesregierung in der ersten Phase bundesweit 20 Projekte. „Mit einer solchen Unterstützung in der Region haben wir nicht gerechnet. Das zeigt die hohe Bedeutung, innovative Lösungen gemeinsam zu erarbeiten“, so Vorsitzender Dr. Arno Schumacher. „Wir danken allen Projektpartnern für die Bereitschaft zur Unterstützung und hoffen, dass wir das regionale Leuchtturmprojekt mit Hilfe einer Projektförderung zur Umsetzung bringen“, fährt Schumacher fort. Ein besonderer Dank gilt den aktiven Kooperationspartnern Landkreis Grafschaft Bentheim und Hochschule Osnabrück, Fakultät Management, Kultur und Technik am Campus Lingen, die bei der Erstellung der Projektskizze tatkräftig unterstützt haben.
„Eine zunehmende Zahl nicht besetzter Arztstellen ist für viele ländliche und dünn besiedelte Regionen ein immer bedeutsamer werdendes Standortthema und verstärkt sich noch durch die demografische Entwicklung“, so Oliver Christoffers, Geschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Unternehmensbereich Bezirksstelle Osnabrück, bei der Vorstellung der „Rollenden Praxis“ am 16.06.2014 bei der Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeug GmbH (WAS). Landrat Friedrich Kethorn (Landkreis Grafschaft Bentheim) betonte: „Es ist daher umso mehr erforderlich, systemübergreifend zu denken und Erfahrungen und Wissen aus allen Gesellschaftsbereichen zu nutzen, um flexible und innovative Lösungen bedarfsgerecht zu entwickeln.“
Um das Leben im Alter bestmöglich zu gestalten, werden die Angebote für Senioren im Emsland und in der Grafschaft Bentheim beständig erweitert. Es wird investiert, ausgebildet und gebaut. „Hier wird die Bedeutung des Wachstumsmarkts Gesundheit spürbar“, so CDU-Bundestagsabgeordneter Albert Stegemann im Rahmen einer Diskussion auf dem Campus Lingen der Hochschule Osnabrück mit Vertretern der Gesundheitsregion EUREGIO, der Fakultät Management, Kultur und Technik der Hochschule Osnabrück unter dem Motto „Alter im ländlichen Raum hat Zukunft“ im April dieses Jahres.
Eine Zusammenfassung des Gutachtens steht unter www.svr-gesundheit.de zum kostenlosen Download bereit.